Ein Religionsunterricht für Alle?

Ein Religionsunterricht für Alle?

Unter Religionsunterricht versteht man bei uns jeher, die 1-2 Stunden in der Woche, in der die Schüler aller Klassen anders zusammengewürfelt konfessionsspezifischen Unterricht haben. Wer daran nicht teilnimmt hat ab einer gewissen Klassenstufe stattdessen Ethik. Am Pfarrwiesengymnasium gibt es inzwischen auch islamischen Religionsunterricht.

Kann man sich vorstellen, dass alle Schüler denselben Religionsunterricht besuchen?

Der Name Religionsunterricht ohne Zusätze könnte an sich für eine eher wissenschaftliche und wertungsfreie Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung und der Basis einer jeden Weltreligion beinhalten. Das klingt im Namen von Verständnis und Toleranz sehr sinnvoll.  Allerdings müsste dann der spezifische Glaubensinhalt der eigenen Religion mehr von der Familie übernommen werden.

Wie sieht also die Realität aus?

Dr. theol. habil. David Käbisch behandelt in einem Artikel „blick in die kirche“ 2/2017 das Thema, konfessionslose in einen Religionsunterricht einzubeziehen. Nach seinen Aussagen ist in den Ballungszentren in Hessen ein Religionsunterricht mit verschiedensten Konfessionen inklusive Konfessionsloser bereits Alltag. Er empfindet es als wichtig das Verständnis für die Sichtweise der Gläubigen aufzubauen. Ein wichtiger Aspekt für ihn ist, dass heutzutage bereits 50% der Schüler über alle Schultypen keiner Glaubensgemeinschaft angehören.

Er bringt als Beispiel, dass in Frankreich seit 1905 (von katholischen Privatschulen abgesehen) keine religiösen Bildungsangebote an staatlichen Schulen mehr angeboten werden, was den Staat zunehmend vor massive Religions- und Integrationskonflikte stellt. Es scheint also wichtig, die religiöse Lebensorientierung für alle zugänglich und begreiflich zu machen.

In einem Fallbeispiel das vom Erzbistum Paderborn beschrieben ist, wird die Rechtsgrundlage und die Problematik der Teilnahme nicht katholischer Schüler am katholischen Religionsunterricht dargelegt. Eine nicht benotete Betreuung kann mit Einverständnis der Lehrkraft stattfinden, wenn das Erreichen der Unterrichtsziele nicht gefährdet ist, was im beschriebenen Fall nicht möglich war, da die Inhalte des Unterrichts und der Firmvorbereitung von Schülern nicht akzeptiert wurden. Die Betreuungspflicht fällt in diesem Fall an die Schule zurück.
Eine vollständige benotete Teilnahme am Religionsunterricht von konfessionslosen Schülern oder Schülern anderer Glaubensrichtungen kann mit Erklärung der Erziehungsberechtigten oder des religionsmündigen Schülers stattfinden. Das entspricht dem gemeinsamen Votum der katholischen (Erz-) Bistümer und der evangelischen Landeskirchen. Formulare dazu sind z.B. von der evangelischen Landeskirche in Württemberg im Internet verfügbar.

In NRW wurde 2017 die Grundlage für einen konfessionell kooperativen Unterricht geschaffen. Dazu arbeiten 2018 katholische und evangelische Religionslehrkräfte zusammen um diesen Unterricht zu ermöglichen.

In 2019 forderte die Landesschülervertretung Rheinland-Pfalz die Abschaffung des Religionsunterrichtes. Das Bildungsministerium sprach sich gegen diese Forderung aus.

Generell stellen die kirchlichen Einrichtungen die Notwendigkeit des Religionsunterrichtes natürlich nicht in Frage, sondern diskutieren über mögliche Kooperationen und Erweiterungen des Inhaltes.

Verschiedene Stiftungen von unterschiedlicher Prägung (Atheistisch, multikulturell, migrationspolitisch und andere) beschäftigen sich ebenfalls mit dem Thema und fordern entweder die Aussetzung des Religionsunterrichtes oder eine Umstrukturierung zu einem Fach, das im Klassenverband ohne Religionsausrichtung unterrichtet wird.

Wie wird das Thema in der Allgemeinheit gesehen?

Liest man nun in den Pro- und Contra-Argumenten die Freunde oder Gegner in Diskussionen oder Petitionen zu Religionsunterricht im Allgemeinen, zu Ethikunterricht als Ersatz oder zu konfessionellem Religionsunterricht, aufbringen, wird sehr schnell klar, dass eine sehr große Diskrepanz im Verständnis dazu herrscht. Von der völligen Ablehnung jeglicher Religion, über die Angst den Kindern die Grundlage zu entziehen oder sie im Gegensatz zu missionieren oder zu verdummen und dem Standpunkt, dass Ethik ebenfalls eine bestimmte und anfechtbare Perspektive, die möglicherweise durch den Staat gelenkt wird, einnimmt kommt fast jeder mögliche Standpunkt vor.

Die Zweifel an der Machbarkeit von getrenntem Religionsunterricht für alle möglichen Glaubensrichtungen sind sicherlich gerechtfertigt. Die Angst, jeder Religion (inklusive Sekten wie Scientology) die Möglichkeit zu geben Religionsunterricht anzubieten, scheint durch die Machbarkeit weit hergeholt, wirkt aber durchaus abschreckend. Das Argument, dass im Grundgesetz (Art.7 Abs.3) ein Recht auf Religionsunterricht festgeschrieben ist, wird durch die explizite Ausnahme bekenntnisfreier Schulen entkräftet, zumal die Entscheidung über die Schulform der demokratischen Mehrheitsentscheidung des Landesgesetzgebers unterliegt. Die Meinung, dass Religion Privatsache ist, steht dem gegenüber, dass das Wissen über Religionen ein essentieller Bestandteil der Bildung ist, und unerlässlich für die eigene Haltung und die Akzeptanz und Toleranz im Miteinander. Dabei ist beiden Standpunkten gemein, dass vom Religionsunterricht keine Beeinflussung ausgehen darf: Entweder durch das Ausklammern des gesamten Themas, was die Gefahr einer sehr eng gefassten Sichtweise in sich birgt, oder der Erweiterung des Bildungsinhaltes auf Informationen zumindest über alle Weltreligionen.

Ein Punkt, der bei den verschiedenen Befürwortern eines allgemeinen Religionsunterrichts sehr unterschiedlich angegangen wird, ist, ob dieser Unterricht eine Wertevermittlung (und wenn ja welche) beinhaltet oder nicht. Es ist die Rede von Weltanschauung, Ethik und Lebensanschauung und der eigenen Entscheidung darüber.   
Diese Art von Unterricht steht allerdings nicht ohne mögliche Beispiele dar. In Norwegen und Schweden gibt es ein nicht abwählbares Fach das allen Schülern die säkulare Beschäftigung mit unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen sowie ethischen Fragestellungen ermöglicht. Schweden setzt dieses Konzept bereits seit den 1960er Jahren um. In Norwegen wurde die Form des Schulfachs über die Jahrzehnte mehrfach geändert, das letzte Mal in 2008 als es in Religion, Lebensanschauung und Ethik (RLE) umbenannt wurde. Es wird die qualitative Gleichbehandlung der Religionen und die Verwendung derselben Analysewerkzeuge zum Studium dieser angestrebt.

Folgt uns gerne auf Insta!

Redaktion

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert