Dr. Florian von der Mülbe wuchs in Sindelfingen auf, besuchte das Goldberg Gymnasium und ist als Produktionsvorstand von CureVac sowie Geschäftsführer der CureVac Real Estate GmbH tätig. Nach seinem Zivildienst studierte er Biochemie in Tübingen und gründete gemeinsam mit Dr. Ingmar Hoerr CureVac das weltweit erste Unternehmen, das mRNA erfolgreich für medizinische Zwecke einsetzte und das aufgrund seiner COVID-19-Impfstoffaktivitäten ein wichtiger Akteur in der aktuellen Corona-Krise ist.

Was genau macht CureVac?

„CureVac war die erste Firma, die sich mit der neuartigen RNA-Technologie beschäftigt hat. Es gibt drei Hauptklassen von großen Biomolekülen. Die erste Hauptklasse beinhaltet die Eiweiße, das heißt das „Handwerkszeug“ der Zellen. Zudem gibt es die DNA, das Buch der Zelle, welches von Generation zu Generation weitergegeben wird, und zuletzt das Biomolekül RNA. Wir arbeiten mit der mRNA – ein Botenmolekül, welches lange Zeit nicht beachtet wurde, da es recht instabil ist. Das Molekül überträgt die Information von der DNA im Zellkern zu den Eiweißfabriken im Zellplasma, damit die Eiweiße in der Zelle produziert werden können. Genau diese Technologie verwenden wir nun, um Arzneimittel zu entwickeln und herzustellen.

Dabei sind wir nicht nur im sogenannten prophylaktischen Medizinbereich unterwegs, wie zum Beispiel mit unserem COVID-19-Impfstoffkandidaten CVnCoV. Unsere erste Arbeit bestand darin, das Immunsystem zu trainieren, um gegen Krebszellen vorzugehen. Wir versehen die mRNA mit einer Beschreibung, gegen welche Strukturen, z.B. eine Krebszelle, es vorgehen soll. Das heißt wir geben dem Körper nur die Information über einen ganz bestimmten Teil, und den Rest erledigt er von selbst. Wir leiten ihn damit an, „das Richtige“ zu tun. Wir arbeiten aber auch noch in einem dritten Bereich, dem Bereich der Proteinersatztherapie.“

Können Sie kurz zusammenfassen, welchen Beruf Sie jetzt genau ausüben?

„Das ist bei Vorständen nicht ganz so einfach, da der Aufgabenbereich sehr vielschichtig ist. Ich habe eine entsprechende Managementposition und bin als Chief Production Officer für die technische Entwicklung und die gesamte Produktion verantwortlich. Zurzeit sorge ich unter anderem dafür, dass unser COVID-19-Impfstoff in großen Mengen produziert werden kann. Konkret heißt das, dass ich mich darum kümmere, rechtliche Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir entsprechende Produktionskapazitäten haben und dass der Impfstoff gut, das heißt in hoher Qualität und innerhalb kürzester Zeit, produziert werden kann.“

Wie kamen Sie dazu, erst Biochemie und anschließend BWL zu studieren?

„Ich wollte Biochemie studieren, um Krankheiten zu verstehen und zu bekämpfen. Dabei kamen mir meine Leistungskurse Latein und Biologie zugute.

Als mein Kollege Ingmar Hoerr entdeckte, dass mRNA als therapeutischer Impf- oder Wirkstoff einsetzbar sein könnte, und mich als Partner ins Boot nahm, haben wir uns beide dafür entschieden, diese Entdeckung nicht weiter an der Universität zu verfolgen.“

„Die Universität versucht allgemein gesprochen vor allem Erkenntnisse zu generieren, aber wir wollten diese Substanz Menschen zur Verfügung stellen, weil wir von Anfang an von unserer Technologie überzeugt waren.“

Dr. Florian von der Mülbe

„Mit Blick auf wirtschaftliche Belange wollten wir natürlich auch nichts falsch machen, da wir gerade in der Anfangsphase darauf angewiesen waren, Risikokapital aufzunehmen und hierfür bestimmte Voraussetzungen verlangt wurden. Deshalb haben wir beide, also Ingmar Hoerr und ich, uns hingesetzt und richtig die Schulbank gedrückt, um einen MBA nachzuholen.“

Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus?

„Momentan ist es natürlich durch Corona ein wenig anders als sonst. Aber im Allgemeinen geht es bei meinen Management-Tätigkeiten darum, mit aller Kraft zu versuchen, die verschiedenen Funktionen innerhalb der Firma zusammenzubringen und gemeinsam an unseren Zielen zu arbeiten. Aus diesem Grund absolviere ich zahlreiche Meetings und führe Gespräche mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, in denen wir gemeinsam Entscheidungen treffen. Ich versuche dabei zu verstehen, was kritisch ist und wie ich unterstützen kann, damit die Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeit bestmöglich ausüben können. Ich versuche außerdem, andere Firmen als Kooperationspartner zu gewinnen, um gemeinsam Projekte durchzuführen, beispielsweise um mit uns den Impfstoff herzustellen. Insgesamt besteht mein Arbeitstag aus viel koordinativer Arbeit mit den unterschiedlichsten Menschen und Abteilungen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Dabei hilft mir das Verständnis aus meinem Biochemiestudium, da ich selbst früher im Labor gearbeitet habe und sehr gut weiß, wo Probleme entstehen können und worauf besonders geachtet werden muss. Dadurch kann ich mich mit den Fachleuten auf einer sehr guten Ebene unterhalten und verstehe zudem deren Denkart.“

Welche Qualitäten und Talente benötigt man Ihrer Meinung nach für Ihren Beruf?

„Ich glaube, dass jeder Mensch grundsätzlich viele unterschiedliche Talente besitzt und diese unter bestimmten Voraussetzungen entwickelt.

Was mir momentan besonders hilft ist, dass ich einerseits gelernt habe – und dies auch gut kann – analytisch vorzugehen. Dies bedeutet, dass ich verschiedene Situationen mit naturwissenschaftlichem Hintergrund gut analysieren und die entsprechenden Möglichkeiten systematisch bewerten und abwägen kann.

Andererseits hilft es mir, empathisch zu sein. Ich kann mich in Menschen und Situationen hineindenken und versuche zu verstehen, was die Menschen, die Mitarbeiter, Kollegen und Zulieferer antreibt und was ihre Interessen sind, um das gemeinsame Ziel zu gestalten.

Menschen, die sehr analytisch sind, werden oft in die Schublade gesteckt, dass sie nicht sehr emotional seien – wie auch anders herum. Ich persönlich glaube aber nicht an diese Schubladen, denn für mich haben Menschen sehr viel Talente und können sowohl Empathie als auch Analytik miteinander verbinden.“

Wie hat sich Ihr tägliches Berufsleben durch die Corona-Pandemie verändert?

„Neben aller Wucht, Turbulenz und den schrecklichen Aspekten der Corona-Krise hat sich für uns einiges verändert, auch im positiven Sinne. Prozesse, die normalerweise sechs bis acht Jahre benötigen, wie eine Impfstoffentwicklung, machen wir gerade in einem Jahr durch. Dies ist unglaublich und nur dadurch möglich, dass man gerade sowohl von regulatorischer Seite, als auch gemeinsam mit allen Zulieferern und Mitarbeitern an einem Strang zieht. Ich merke diese Beschleunigung in meinem täglichen Arbeiten, da die Arbeitstage sehr lang sind und ich praktisch an nichts Anderes mehr denke.“

„Wir haben aber eine unheimliche Energie entwickelt, da wir nicht nur warten und Regeln befolgen, sondern wirklich etwas bewirken können.“

Dr. Florian von der Mülbe

„Plötzlich haben wir Zugänge und Möglichkeiten, die wir vorher nicht hatten.“

Dürfen Sie uns einen kleinen Einblick in die momentane Impfstoffentwicklung bei CureVac geben?

„Das darf ich sehr gerne!

Für das Grundverständnis: Eine Impfstoffentwicklung fängt mit verschiedenen Impfstoffkandidaten (mögliche Impfstoffe) im Labor an. Aus diesen unterschiedlichen Kandidaten wird mithilfe von präklinischen Studien der Kandidat ausgewählt, der am wirksamsten erscheint. Nach den Laboruntersuchungen durchläuft man in der klinischen Entwicklung drei verschiedene Phasen. In der ersten Phase wird insbesondere überprüft, ob der Impfstoff bei Verabreichung im Menschen Nebenwirkungen zeigt. In der zweiten Phase wird in erster Linie nach Wirksamkeitshinweisen, also nach Antikörpern im Blut der Probanden gesucht. Und in der dritten Phase geht es um den statistischen Beweis. Gerade befinden wir uns in der dritten Phase, die voraussichtlich mehr als 35.000 Probanden umfassen wird. Wir sind zuversichtlich, die für die Zulassung benötigten Daten schnell generieren zu können, um unseren Impfstoff auf den Markt zu bringen. Das Ziel der nächsten Zeit ist der Erhalt dieser Marktzulassung bzw. einer sogenannten Notfallzulassung. Allerdings wird es noch einige Wochen dauern, bis wir alle hierfür benötigten Daten generiert haben.“

Welches Szenario halten Sie für am Wahrscheinlichsten für das kommende Jahr?

„Ich glaube oder hoffe, dass sich viele Menschen impfen lassen, sich die pandemische Welle dadurch abfedern lässt und das Gesundheitssystem entlastet wird.

Zurzeit sind nur einzelne Impfstoffe zugelassen, aber weitere werden noch folgen, unter anderem unserer. Damit werden letztlich genügend Impfdosen zur Verfügung stehen, sodass entsprechend viele Menschen geimpft werden können. Dies wird sicherlich nicht in den nächsten Monaten erfolgen und sich vielleicht sogar bis in das Jahr 2022 hinziehen. Aber ich bin zuversichtlich, dass das Virus bekämpft werden kann. Allerdings hat uns die Pandemie auch gezeigt, wie angreifbar beispielsweise der gesellschaftliche Zusammenhalt ist. Wir müssen sowohl gesellschaftlich, als auch im Umgang mit solchen Ausnahmezuständen aufmerksam vorgehen. Aus diesem Grund wollen wir als CureVac auf zukünftige Pandemien vorbereitet sein, und bauen zurzeit eine große Produktionsstätte in Tübingen, wo wir hunderte Millionen Impfdosen schnell produzieren könnten.

Das Großartige an der mRNA-Technologie ist, dass man sehr schnell auf entsprechende Erkrankungen reagieren kann. Wenn das Virus sich verändert, kann man nur durch eine Veränderung der Basenabfolge (die mRNA besteht aus vielen Basen) schnell darauf reagieren und dennoch bleibt der sonstige Produktionsprozess gleich. Ein echter Plattform-Prozess! Wir glauben, dass COVID-19 leider nicht nur ein Phänomen von 2020 ist, sondern sich wie das Grippevirus verändern kann. Ähnlich wie bei der Grippe muss man sich gegebenenfalls jedes Jahr auf einen neuen Stamm einstellen und den Impfstoff entsprechend anpassen und bereithalten. Sicherlich werden auch durch Klimaveränderungen, Verengungen der Lebensräume, usw. neue Pandemien und Erkrankungen kommen.

Wir glauben, dass die mRNA-Technologie uns Menschen helfen wird, auf solche Situationen schnell reagieren zu können und bereiten uns darauf vor, in der Zukunft ein Werkzeug in der Hand zu halten, um viele Menschen (be-)schützen zu können.“

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